Christoph Schreiber führt zwei Leben. Tagsüber ist er Neurologe im Krankenhaus und nachts der gefeierte Intendant seiner eigenen kleinen Musikwerkstatt. Der Klaviersalon macht Berlin als Kunstmetropole alle Ehre. Unprätentiös, und doch voll künstlerischer Exzellenz, bietet Schreiber seinem Publikum ein Umfeld, dass den Zuschauer in eine andere Welt mitreißt.

Der mehrfache Echopreisträger sitzt ganz vorne auf einem kleinen schwarzen Schemel. Um ihn herum, ein Halbkreises von Zuschauern. Hardy Rittner wird von vier von der Decke hängenden Industrielampen beleuchtet. Er ist groß und schlaksig und ganz in schwarz gekleidet. Leicht beugt er sich vornüber, während seine geschickten langen Finger über die Tasten des 1854 alten Erard Hammerklaviers tanzen – einer der wenigen komplett erhaltenen Flügel aus dieser Zeit. Mal ganz langsam und mal blitzschnell, je nachdem, wo sie die Melodie Johannes Brahms’ hinführen.

„Das besondere hier ist die Stille, während ich spiele“, erzählt Rittner in der Pause, der sich mit den frühen Klavierwerken von Brahms, gespielt auf Originalflügeln seiner Zeit, einen großen Namen machte. „So als würde ich zu Hause in meinem Wohnzimmer spielen“, fügte er hinzu. Und tatsächlich hört man von den rund 70 Zuschauern im Raum keinen Mucks. Kein Rascheln, kein Husten und keine Bewegungen sind zu vernehmen. Alle konzentrieren sich auf sein Klavierspiel.

Der 31-jährige wirkt trotz seiner Größe, die ihn auf die meisten seiner Gesprächspartner herunterblicken lässt, zurückhaltend und bescheiden. Aber wenn er wieder am Klavier sitzt verändert sich dieser Eindruck schlagartig. Dann sprüht Rittner eine Bestimmtheit und Kraft aus, die sich in seinem sicheren und geschickten Klavierspiel widerspiegeln.

Auf Etikette kann man hier verzichten

Der Veranstaltungsort ist aber keine Philharmonie und auch kein Konzertsaal, sondern eine Werkstatt. Seit 2004 werden hier alte Klaviere repariert und restauriert. Wo man hinschaut stehen Flügel, Holzrahmen, Klaviaturen, Farben, Lacke, Pinsel und Werkzeug. Vereinzelte Trödellampen und ein alter Kronleuchter tauchen den Raum in ein warmes gelbes Licht. Hinter Rittner erspäht man eine gemalte Harfe und entlang der Wände sind verschiedene Kunstwerke aufgestellt und montiert, wie zum Beispiel alte Notenpulte.

Der Besitzer des sogenannten „Klaviersalons“, Christoph Schreiber, arbeitet tagsüber als Neurologe in einer nahegelegenen Berliner Klinik. Die Klavierwerkstatt betreibt er nur nebenbei.

Seine Liebe zum Klavierspiel entstand bereits sehr früh. „Ich durfte eigentlich als Kind nicht Klavier spielen“, sagt Schreiber, während er sich eine Zigarette mit Tabak rollt, „aber dann habe ich so lange (meine Eltern) genervt, bis ich endlich durfte“. Schreiber wirkt ruhig und gelassen, und trägt dabei lässig Jeans und einen Pullover. Auf Etikette kann er in seiner Werkstatt verzichten. Und das ist auch das Ziel. „Wenn man die Musik ein Stück weit erfahrener und unmittelbarer machen will, dann muss man diese Grenzen (der Etikette) so niedrig wie möglich halten“, sagt er. Statt Vorbestellungen, teurer Karten und einer bestimmten Garderobe, spielt hier ausschließlich die Musik die Hauptrolle.

Kein geborener Musiker, dafür aber ein geborener Zuhörer

Der Vater von zwei Kindern nahm seine ersten Stunden bei seinem Patenonkel, einem Organist in Havelland in Sachsen-Anhalt. „Als ich endlich groß genug war, um mit den Füssen an die Pedale zu gelangen, habe ich meinen ersten Unterricht bekommen“, sagte er. Mit 14 gab er seine ersten Konzerte. Weil es aber nie gereicht hätte um „in der ersten Reihe“ zu spielen, begnügte sich der Sohn zweier Ärzte damit, ebenfalls Medizin zu studieren.

Die Liebe zur Musik hielt ihn dennoch weiterhin in ihrem Bann und im Laufe der Jahre machte er die Bekanntschaft einer Reihe von Musikern, die heute zu Freunde geworden sind – aber auch zu Superstars der klassischen Musik wurden. So gehören der Pianist Julien Quentin oder die Geigerin Sayaka Shoji und viele andere große Namen zum festen Repertoire des Klaviersalons. „Sayaka Shoji kommt extra dreimal im Jahr aus Japan hier in den Salon um ein Konzert  zu spielen“, sagt Schreiber stolz. Den Rest ihrer Zeit spielen Musikstars wie Quentin und Shoji auf Weltbühnen in Russland, Frankreich, Spanien und den USA.

Statt großer Bühne, Wohnzimmeratmosphäre

Nach etwa einer Stunde verklingen die letzten Töne der „Zwei Rhapsodien Op. 79“ von Brahms in der fast spürbaren Stille. Rittner hebt langsam seine Hände von den Tasten. Die Zuschauer setzen nach einem Moment des Verharrens mit lautem Applaus ein. Vereinzelt hört man ein „Bravo“ und Jubeln und Jauchzen aus der Menge.

In der Pause können sich die Gäste im hinteren Teil der etwa 500 m2 großen Werkstatt mit Bier, Wein und Wasser versorgen. Auch Rittner mischt sich unter die Zuhörer und plaudert ein wenig. Die Getränke stellt Schreiber umsonst zur Verfügung. Nach den Konzerten, sammelt er zwar Spenden ein, die aber ausschließlich an den Künstler gehen, und nicht an ihn selber.

Der Salon ist ein Geheimtipp, und die meisten Gäste erfahren davon mündlich. „Ein Freund hat mich vor drei Jahren hierher mitgenommen, seitdem bin ich regelmäßig hier“, sagt eine Dame, die stets in der ersten Reihe links ihren Stammsitz einnimmt. Das restliche Publikum ist sehr durch mischt. Man findet hier Jung und Alt Seite an Seite sitzen. „Es ist jedes Mal, wie in eine andere Welt einzutauchen, wenn ich hier bin,“ sagte eine junge Besucherin.

Das 19. Jahrhundert wieder aufleben lassen

Der Klaviersalon als solcher ist keine Erfindung Schreibers, sondern entstammt einer Idee des 19. Jahrhunderts. Damals haben die Klavierwerkstätte Künstler und Kenner in Nebenräume eingeladen, um die Klaviere einzuspielen und kleine Konzerte zu geben. In Paris war es das Maison Erard und in Berlin das Duysen Haus. „Diese sogenannten Salons waren für das Musikleben ganz entscheidend“, sagt Schreiber. „Vieles wurde dort uraufgeführt, so dass ein Grossteil der wichtigen romantischen Kammermusik aus der Taufe gehoben wurde“. Dazu zählt beispielsweise dass 2. Klavierkonzert von Mendelssohn Bartholdy, fügte er hinzu.

Der Salon liegt direkt hinter dem Amtsgericht von Wedding. Über die Uferstrasse, biegt man in einen großen, dunklen Vorhof ein. Ein alter Bus steht auch auf dem Platz, neben einer Eckkneipe, in der italienische Gerichte angeboten werden.

Auf der anderen Seite des Platzes, auf dem auch ein paar Autos parken, entdeckt man den kleinen Eingang zum Konzertsalon. Über der Tür hängt ein dunkelgrünes, unscheinbares Schild „Piano Salon Christophori“. Benannt wurde der Salon nicht nach dem Vornamen des Veranstalters, trotz der naheliegenden Assoziation, sondern nach dem Hammerklavierbauer Bartolomeo di Francesco Christofori, aus dem Florenz des 18. Jahrhunderts.

Denn obwohl Schreiber früh klar wurde, dass er selber kein Musiker werden würde, blieb er doch ein begeisterter Zuhörer und wollte gerne selbst ein Instrument besitzen. Weil ihm aber das Geld fehlte, erwarb er 2001 einen alten kaputten Duysen Flügel, den es erst zu reparieren galt. „Dann habe ich angefangen, an dem ganz stümperhaft herumzubauen, bis ich die Mechanik so ein bisschen verstanden hatte“, erzählt Schreiber. Nach und nach kaufte er noch weitere Flügel hinzu. Auf Anraten eines Freundes, der ebenfalls Instrumente sammelte, erwarb er sein erstes Hammerklavier, ein französischer Erard von 1854 aus der Epoche der Romantik. „Da ist dann meine Liebe zu den alten Flügeln entstanden“, sagt Schreiber.

Heute besitzt er an die 80 Instrumente, teilweise ganz oder zerlegt in seiner Werkstatt zu bewundern. Damit die Instrumente auch gespielt werden können, lud Schreiber seine Musikerfreunde ein, um kleine Konzerte zu geben. Ganz in der Tradition der alten Klaviersalons. So entstanden die ersten Konzerte. „Am Anfang kamen nur ein paar Freunde von mir. Dann kamen auch Konzertkenner und Leute, die das historische Instrument zu schätzen wissen. So wurden meine Konzerte immer größer“, sagte er.

Rittner hat sein Spiel beendet, und wieder ertönt lauter Applaus. Er verbeugt sich tief, wobei seine Locken der Bewegung ungewollt folgen und vornüber in seine Stirn fallen. Schreiber steht auf, und überreicht seinem Künstler und langjährigen Freund einen großen Blumenstrauß. Demnächst spielt Rittner wieder auf großen Bühnen in Europa, den USA und Asien.

Piano Salon Christophori
www.konzertfluegel.com
Uferstrasse 8, 13357 Berlin

Von Franziska Scheven